Dieses Jahr soll es keine Ostergottesdienste geben. Ein Problem? Für „Gläubige“, hoffentlich. Für die anderen? Natürlich nicht.
Lassen Sie uns dagegen die These stellen: es gibt kein menschliches Leben ohne Auferstehung. Denn was ist Auferstehung im Kern? Verwandlung. Etwas geschichtlich Reales, zeitlich Begrenztes, Messbares wird in etwas Übergeschichtliches, Zeitloses, Unvorstellbares, mit den Sinnen direkt nicht mehr Erfassbares verwandelt. Und gerade dadurch kann es beliebig zur Gegenwart werden.
Tagtäglich leben wir mit solcher Auferstehung. Ein Schriftstück, das ich scanne, hebe ich auf diese „ewige“ Ebene. Ein Film präsentiert eine reale Szene in verwandelter Form für Auge und Ohr. Jedes Telefonat, jede Aktion am Computer arbeitet mit dieser grundlegenden Verwandlung. Seltsam, wir wundern uns, dass der auferstandene Jesus durch verschlossene Türen kommen konnte – und wundern uns nicht, dass jemand mit uns reden kann oder gar sichtbar im Raum zu sehen ist, ohne dass er körperlich da ist.
Vielleicht sagen Sie: Das ist eine nette Entsprechung, aber mich beschäftigen momentan ganz andere Dinge. Das ist durchaus nachvollziehbar. Das Virus wird von vielen gegenwärtig als existenzielle Bedrohung wahrgenommen. Manche fürchten Schlimmstes für ihre berufliche oder geschäftliche Zukunft. Manchmal ist auch das Leben von nahen Verwandten gefährdet.
Und dennoch darf ich vor dem kairologischen Hintergrund antworten: Auch hier geht es nicht einfach um Fakten und Hochrechnungen. Es kommt immer ein verwandelnder Faktor hinzu, der nicht aus den Dingen selbst zu erklären ist, sondern nur aus uns, aus unseren Beziehungskräften, aus der Bedeutung, die wir ihnen im Moment geben.
Dieser verwandelnde Faktor zeigt sich auf der gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Ebene in komplexer Form. Der Zeit-Geist hat viele Repräsentanten. Es kann auch kompliziert sein, wie der einzelne mit dem „Virus“ die Vorstellungen verbindet, die er sich vom Leben macht.
Insgesamt gilt: Wir alle verwandeln die Begegnung mit dem „Virus“ in ein Thema unseres In-Beziehung-Seins mit unserer Welt. Wir alle aktivieren dabei unsere Beziehungskräfte. Die Bedeutung ist die Form seiner Verwandlung. Diese Verwandlung ist ein aktiver Prozess, der von unseren Beziehungskräften ausgeht.
Diesen Faktor machen wir uns ungern bewusst. Er wird verkapselt in “Objektivität“ oder „Wissenschaft“ oder, oder…. Wenn Medien oder die Politik aber zum Beispiel nicht unterscheiden wollen zwischen dem, ob jemand „mit dem Virus“ oder „infolge des Virus“ verstorben ist, dann sagt es etwas über sie aus und nicht über den Sachverhalt.
Anders mit dem Ereignis in Beziehung gehen
Wer sich diesen Faktor ‚In-Beziehung-sein‘ aber bewusst macht, für den ist das alles nicht mehr bloß ein Naturereignis, ein Tsunami, ein von außen kommendes Verhängnis. Aus kairologischer Sicht hat es immer auch mit der Bedeutung zu tun, die er all dem gibt, was ihm passiert. Wer das weiß, kann neu, anders mit dem Ereignis in Beziehung gehen.
In diesem Sinne ist Kairologie auch Krisenbewältigung.
Sie kann dem einzelnen helfen, auch die aktuelle Situation als seinen höchstpersönlichen Kairos zu erkennen. Er kann es bejahen, es als Chance sehen, als Aufruf zu Neuem, als Prüfung, manchmal gar als Glück. Er kann vielleicht sogar zu einer wesentlichen Erkenntnis durchdringen: Im Leben kommt es gar nicht darauf an, sein faktisches Leben mit all seinen Qualitäten wie Gesundheit, hohes Alter, berufliche Sicherheit zu retten. Lebensglück hängt viel mehr davon ab, wie er oder sie der Dynamik seiner Beziehungskräfte folgt.
All das ist ein moderner Weg, einen Karfreitag in Ostern zu verwandeln und so seinen Frieden in etwas zu finden, was sonst als furchtbare Bedrohung erscheint.
Diesen Weg für sich selbst zu finden und zu gehen, das wünsche ich uns allen.
Karl Hofmann
April 2020 |